Donnerstag, 13. Juni 2013

Schwarzer Mann - ein persönlicher Bericht


Die Idee ist simpel: Ein komplett in schwarz gekleideter Mann mit schwarzer Stoffmaske über dem Gesicht und schwarzen Handschuhen geht durch die Straße. Vom Menschen darunter ist nichts zu sehen. Es bleibt eine schwarze Figur. Im Schatten ist es nur eine sich bewegende Silhouette eines Anzugträgers mit Hut. Der schwarze Mann, wie wir ihn aus dem Kinderspiel „Wer hat Angst vor dem Schwarzen Mann“ kennen, vor dem wir als Kinder schon im Spiel mit sanfter Panik davongelaufen sind und der von Kindesentführungen über unterschiedliche Gewaltverbrechen bis zum Ausrauben alter Damen für alles herhalten muss, was wir eigentlich nicht mit konkreten Personen in Verbindung bringen wollen.



Donnerstag Nachmittag in der Innenstadt von München. Lydia hat sich dankenswerter Weise bereit erklärt, zu filmen und zu dokumentieren. Wir treffen uns im Bon Valeur auf einen Kaffee. Dann ziehe ich mir direkt ums Eck -schon vor laufender Kamera- die Gesichtsmaske über, den Hut auf und die Handschuhe an. 

In diesem Moment fällt jede Nervosität komplett von mir ab. Es ist anders als bei anderen Aktionen. Ich bin nicht sichtbar. Nach ca. fünf Minuten gehen und mehreren Erinnerungen an mich selbst verstehe ich langsam, dass ich alle anderen hemmungslos anschauen kann, weil mich keiner sieht. Im Laufe der insgesamt 30 Minuten muss ich mich immer wieder daran erinnern. Es ist so in mir drin, dass ich Menschen nicht einfach nur unverhohlen anschaue...



Das erstaunlichste: Kaum jemand nimmt mich war. Es werden mehr, als ich nach einer Aufforderung von Lydia deutlich langsamer gehe. Noch erstaunlicher: Die meisten, die mich sehen schauen sofort auf den Boden und scheinen den Kontakt zu meiden. Auch wenn mein Kopf gar nicht in ihre Richtung gedreht ist. Erst auf dem Filmmaterial sehe ich, dass sich viele noch einmal umdrehen, sobald sie mich von hinten sehen. Angst vor Konfrontation? Ich weiß es nicht. 

Ein einziges Mal geht ein Mann -meine Statur, mein Alter, auch im Anzug- fast direkt auf mich zu und bricht den Blickkontakt erst ab als er sehr knapp an mir vorbei geht. Ich vergesse, dass er meine Augen gar nicht sehen kann; taxiere ihn und halte den Augenkontakt bis zum Schluss. Wohl fühle ich mich dabei nicht. Ohne Maske wäre das ein aggressiver Akt. Erst danach erinnere ich mich wieder: Ich bin nicht sichtbar!



Lustig ist es, den vielen Frauen in Burka zu begegnen, die definitiv länger und direkter schauen, als andere. Kurz habe ich die Sorge, dass sie es als Kritik auffassen könnten, merke aber schnell: das ist „mein Film“.

Ein Kind sieht mich, fängt das Heulen an und versteckt sich hinter seiner Mutter. „Entschuldigung“ möchte ich sagen, tu’s aber nicht, weil ich denke, dass es die Situation nur noch schlimmer machen würde.

Nach ca. 30 Minuten und dem Weg vom Stachus über den Marienplatz zum Odeonsplatz reicht es mir. Ich biege in eine Seitenstraße, suche mir eine Einfahrt und verschwinde darin. Erst als ich die Mütze vom Kopf ziehe merke ich, wie heiß mir ist. 



Danach sitzen Lydia und ich noch im Kaffee und unterhalten uns, wie man die Reaktionen der Leute besser, aber unauffälliger einfangen kann. Langsamer gehen, zwei festinstallierte Kameras, sich nur in deren Sichtfeld bewegen. Definitiv ein Versuch wert. Allerdings merke ich auch, dass mein „Selbstverständnis“ solcher Aktionen stark geprägt ist von Performern wie Marina Abramović und anderen, die sich in erster Linie der Situation stellen; für die das „Festhalten“ oder Mitschneiden bestenfalls zu Doku-Zwecken dient. Auf der anderen Seite interessieren mich die Reaktionen der Menschen und ich freue mich sehr über das Videomaterial; erkenne, dass und wie man es besser machen könnte und verstehe, was Lydia meint. Warum also nicht beide Varianten ausprobieren? So oder so wird es den schwarzen Mann sicher noch öfter geben. 

Und insgesamt war es eine angenehm unspektakuläre Aktion.

Video mit Eindrücken unter www.urban-absurdity.com.

Danke, Lydia, für Unterstützung, Filmen, Rückmeldung und Anregungen.

© alle Bilder & Videosequenzen: Lydia Starkulla, Holzkirchen
© Idee und Konzept: Tom Tiller, urban-absurdity.com