Montag, 22. Juni 2015

250 €

Was schreibt man über eine solche Performance. Es war die krasseste, die ich bisher gemacht habe, obwohl sie ziemlich „einfach“ war. Ich hätte nicht gedacht, dass es so emotional wird.

Direkt nach der Performance sitze ich im "Backstage" Bereich und muss mich minutenlang beruhigen. Ich bin extrem aufgebracht, sehr angestrengt und verunsichert.

Ein Gastkünstler aus Portugal kommt in den durch ein Absperrband getrennten Bereich, sieht mich und gibt mir -zum Glück- sehr gutes Feedback. Schildert mir seine Beobachtungen im Publikum und gibt mir das Gefühl: einer hat diese Performance verstanden und genommen. Und nicht nur das, sondern sich der Situation ausgesetzt, sie wirken lassen, sich selbst bemerkt in dem was passiert ist. Es gibt mir den Mut doch daran zu denken, mich unter die Leute zu mischen. Ich bin ihm dankbar. Dann kommt meine Lebensgefährtin und meint, ich müsse unbedingt wieder kommen; es sei schade, dass ich die Diskussionen und Auseinandersetzungen direkt nach der Performance nicht mitbekommen hätte. Ich gehe und mische mich unter die Leute. Es wird kontrovers diskutiert.

Was war in den letzten 30 Minuten passiert?

Im Rahmen des von Christian Öttinger organisierten „Open Art Festivals Munich“ (OFF) habe ich eine Performance gegeben mit dem Titel "250€". Die Idee steht schon lange. Und ich habe sie mit unterschiedlichen Menschen diskutiert und gute Ideen bekommen; von Martin Ostenrieder, von Christine Bombosch, von anderen. Was bleibt ist schlicht: Ein Mann im Anzug, barfuß zerreißt vor den Augen des Publikums 50 Fünf Euro Scheine.

Ich sitze eine Stunde vorher im Backstage Bereich und habe den Haufen Scheine vor mir liegen. Ich schaue ihn an. Ich bin verunsichert und nervös, obwohl es keine Frage ist, dass ich es tun werde. Außer der Aktion ist alles offen. In der Stunde wird mir klar, dass ich das Geldbündel nicht festhalten werde, während ich einen Schein nach dem anderen zerreiße. Ich werde den kleinen Stapel vor mich legen in vollem Bewusstsein, dass es ein Angebot an das Publikum ist, einzuschreiten. Ich mahle mir die verschiedenen Möglichkeiten der Intervention durchs Publikum aus und frage mich: von welchem "Ort" aus werde ich reagieren? Natürlich vom Ort des Performers aus. Aber was heißt das in diesem Fall genau? Egal was sein wird steht für mich fest: Ich zerreiße Geld, es passiert etwas, ich lass es wirken, ich nehme es mit in die Performance rein. Keine schnellen Reaktionen; stattdessen "performerische" Antworten. Später werde ich froh sein um die genaue Vorbereitung.



Außerdem stecke ich ein Messer ein, ohne zu wissen ob oder wie ich es brauchen werde. Was ich mich absichtlich nicht frage: wie werde ich die Scheine zerreißen? Wie schnell wird es gehen? Werde ich es im Kontakt mit dem Publikum machen oder für mich - und mich damit als eine Art "lebende Installation" zur Verfügung stellen? All diese Informationen muss der Moment und die Situation bringen. Sonst wird es theatral, geplant, konzeptioniert. Das will ich in dieser Performance nicht.

Ich höre das vereinbarte Zeichen und gehe los. Langsam und bewusst. In Richtung der Stelle, an der ich mich positionieren werde. Ich bin überrascht, dass alle schon dort sitzen oder stehen und warten. Ich dachte, ich müsste die Aufmerksamkeit der Menschen erst bekommen und sie aus der ganzen Halle „zusammenholen“. Ca. 30 Leute sitzen und stehen im Halbkreis da und schauen mich an. Einen Teil kenne ich, einen Teil kenne ich nicht. Im Gegensatz zu sonst empfinde ich die Menschen, die ich kenne nicht als Unterstützung sondern eher als „Bedrohung“. Weil ich weiß, dass ich mit dem was ich gleich tun werde wahrscheinlich sehr viele vor den Kopf stoßen oder zumindest verstören werde. Und so wird es ja dann auch sein. Es dauert einen kurzen Moment bis ich mich klar entscheide: Ich stehe hier als Performer und es spielt für mich keine Rolle, wer die Performance sieht.

Ein Teil des Publikums weiß, was passieren wird, ein Teil nicht. Danach werden die Zuschauer sehr unterschiedliches Feedback geben. Ein Unterschied wird die Tatsache sein, dass sie es lieber gewusst oder lieber nicht gewusst hätten, froh waren, dass sie es nicht vorher wussten oder eben froh waren dass sie es vorher wussten. Für mich spielt dieser Unterschied im Moment keine Rolle

Ich stelle mich vor die Säule, die ich vorher ausgesucht hatte, greife langsam in meine Innentasche und ziehe den Stapel Geldscheine heraus. Hochkonzentriert lege ich ihn vor mich hin und schaue ihn eine Weile an. Ich bin nervös. Meine Hände zittern. Ich nehme den ersten Schein und lasse ihn in meinen Händen wirken. Spüre ihn, streichele ihn, falte ihn. Und dann: ein erstes zerreißen. Ich tue es nicht zu schnell und lasse das Geräusch, den Widerstand, die Struktur des Papiers wirken. Die Schnipsel lasse ich auf den Boden fallen. Dann der zweite Schein; der dritte.



An dieser Stelle bemerke ich, dass ich das so Schein für Schein weiter machen könnte, in erster Linie in mich selbst gekehrt. Und wahrscheinlich hätte die stete Wiederholung eine rituelle Wirkung. Aber ich bemerke auch, dass mein Interesse woanders hingeht: zum Publikum. Also schaue ich mit den nächsten Scheinen in der Hand ins Publikum. Ich lasse die Blicke wirken. Was kommt ist Aggression und Energie. Und der Wunsch in Kontakt zu treten. Nicht zu offensiv. Keinen Zwang daraus zu machen. Eher ein Angebot. Also Bleibe ich im Blickkontakt und beginne, einzelne Schnipsel von frisch zerrissenen Scheinen anzubieten. Ich gehe auf Leute aus dem Publikum zu und halte sie ihnen hin. Jetzt wird klar: was ich tue polarisier. Einige schauen mich mit starrer Mine an, lehnen die Schnipsel ab. Andere nehmen sie neugierig an. Ich höre, dass leise geredet wird. Eine Freundin, die im Publikum sitzt lehnt die scheine ab und ich sehe ihr an, dass es ihr nicht gut geht.

Die innere Aggression steigt und mir wird klar, dass diese Performance sich nicht nur um das Thema Geld, Wert und Verwendung dreht sondern auch um das Thema Gewalt. Ich erinnere mich an das Messer in meiner Tasche, hole es heraus, mache es mit einer Hand schwungvoll auf und zerschneide die nächsten Scheine sehr aggressiv. Wieder verteile ich die Schnipsel.

Während ich das tue schaltet sich das erste mal ein Zuschauer ein. „Stopp!“. Laut, deutlich, ernst gemeint. Ob ich das Geld nicht lieber den Helfern der Flüchtlinge geben will. Ich warte und lasse wirken, was passiert. Ich sehe ihn kurz an mache weiter. Er sagt „Also willst Du das nicht?“.

Ich mache weiter und werde in meiner Art, die Scheine zu zerschneiden immer offensiver, immer aggressiver; ohne jedoch theatral zu agieren. Kein übertreiben, kein zurückhalten. Immer versucht, performativ zum Ausdruck zu bringen, was die Aktion und der Kontakt mit dem Publikum mit mir machen. Ich bleibe Performer; kommuniziere bewusst ans Publikum, was an Emotionen, Gedanken und sonstigem innerlich da ist; mit den Mitteln, die ich mir gegeben habe. Es kostet Kraft so klar zu bleiben.

Ich reiße einen Schein an, gehe zu einem Mann im Publikum, halte ihm den Schein hin. Er nimmt ihn, ich ziehe an meiner Seite und der Schein zerreißt. Er hält eine hälfte in seiner Hand. So steigern sich sowohl die Aggression im Zerreißen als auch die Interaktionsangebote Schritt für Schritt.

Inzwischen sind etwa 20 Minuten vergangen. Das Publikum tuschelt und redet, die Stimmung ist sehr emotional. Ich mache weiter und bin selber gespannt wo es hinführt. Über die Hälfte der Schein ist weg, der Rest liegt nach wie vor als Stapel zwischen mir und dem Publikum. Nachdem ich einem weiteren Menschen Schnipsel gegeben habe, wende ich mich kurz vom Publikum ab um zu meinem Stapel zurück zu gehen. In diesem Moment sehe ich aus dem Augenwinkel, das eine Zuschauerin aufgestanden ist und das Geld wegnimmt. Es ist die Freundin, die vorher die zerrissenen Scheine abgelehnt hatte und die mit laufender Performance zunehmend schlechter aussieht. Sie setzt sich wieder hin. Ich lasse – in diesem Moment sehr dankbar um meine Vorbereitung – wirken was innerlich passiert. Ich spüre, dass ich emotional aufgewühlt bin und mich die letzten 20 Minuten extrem angestrengt haben. Ich schaue auf die Stelle, an der das Geld lag und sehe einen Haufen zerrissener Geldscheine.


Ich lasse kommen, was kommt, immer im Bewusstsein, dass ich eine Performance mache und dass ich es einfach performativ umsetzen werde. Es ist eine riesen Herausforderung. Es kommt eine Frage. Ohne sie abzuwägen stelle ich sie ruhig und direkt an die Frau die das Geld genommen hat: Und was machst Du jetzt damit? „Irgendetwas Besseres werde ich auf jeden Fall finden!“ sagt sie offensichtlich aufgewühlt.

Ich spüre: das ist das Ende der Performance. Langsam drehe ich mich um und gehe. Ich höre verhaltenen Applaus, drehe kurz um, gehe zurück, verneige mich und gehe dann zum Backstage Bereich. Ich setze mich hin und brauche einige Minuten um mich zu beruhigen.



Heute, zwei Tage später, wirkt die Performance immer noch nach. Auf sehr unterschiedliche Arten. Egal mit wem ich darüber ins Gespräch komme: sofort wird die Unterhaltung emotional. Sofort lerne ich etwas über meine Gesprächspartner; ihre Werte; ihren Umgang mit Geld; und über mich.

Ein Feedback direkt nach der Performance von einer Zuschauerin ist: „Ich hatte ja Lust, mein eigenes Geld zu nehmen und mitzumachen.“

Die Freundin, die das Geld genommen hat, will es meiner Lebensgefährtin, die im Publikum ist, nach der Performance zurückgeben. Sie möge es mir geben, aber nur, wenn ich es nicht zerstöre. Meine Lebensgefährtin lehnt ab. Als ich die Freundin nach der Performance treffe sage ich ihr, dass es ihr Geld sei. Sie habe eine Entscheidung gefällt und müsse jetzt auch entscheiden, was damit passiere. Es sind – dass erfahre ich, weil ein anderer aus dem Publikum gefragt hatte – noch 105 Euro übrig. Sie wird es an Refugio in München spenden. Ich bekomme am Tag darauf eine SMS von ihr und ertappe mich dabei, wie ich mich freue dass ein Teil des Geldes jetzt doch „sinnvoll“ angelegt ist. Ich muss lachen.

Aus den Feedbacks und Diskussionen erfahre ich, dass die Performance bei den meisten viel ausgelöst hat. Sehr Unterschiedliches, aber immer emotional. Ich freue mich, denn es war definitiv die anstrengentste Performance bisher.

Text: Tom Tiller
Bilder: Christine Bombosch
© Bilder: urban-absurdity.com

Danke an Christine Bombosch & Martin Ostenrieder für die Unterstützung bei der Konzeptentwicklung.
Danke an Christian Oettinger für die Initiative zu und die Organisation von OFF, einem wunderbaren und ernst-heiteren Festival.