Samstag, 24. August 2013

Mann trägt Herz barfuß


Ich komme zurück in die Wohnung, schließe die Tür hinter mir und fange an zu weinen. Gerade habe ich im Hof ein Schweineherz in die Biotonne geworfen und eine weiße Leinenserviette mit Blutflecken, in die es eingewickelt war direkt in die Tonne daneben. Was macht man mit einem Herz, das Teil einer Performance war?

Das Herz hatte ich dreieinhalb Stunden vorher bei einem Metzger an der Eberswalder Straße gekauft, wo ich es drei Tage zuvor bestellt hatte. Weil ich explizit ein „schönes“ und im Stück bestellt hatte bekomme ich in einer Edelstahlschale sechs Schweineherzen „vorgeführt“; von denen ich mir eines aussuchen kann. Ich nehme ein kleines, fast unversehrtes. Ein Euro Vierzehn. So viel kostet ein Schweineherz.


Die Idee dazu reift seit Monaten. Ein Bild auf der Straße. Ursprünglich sah es anders aus. Aber mit jedem Mal sich damit beschäftigen wird es klarer. In Anzug und Krawatte, barfuß ein Herz durch die Straße tragen. Mich dabei auf den Moment einlassen. Ein Schweineherz, weil es dem menschlichen Herz am ähnlichsten ist.

Ich bin zwei Wochen in Berlin, um ein paar Leute zu treffen, gemeinsam performance practice zu machen und selbst ein paar Performances anzuschauen. Ich kann Lydia, eine Freundin aus München, die gerade in Berlin ist und Meltem eine Berliner Künstlerin gewinnen, mich zu begleiten. Das Bild ist mir zu krass, um es ohne Begleitung und Außenreferenz zu machen.

Gestern, einen Tag bevor ich das Herz tragen werde, habe ich immer noch kein passendes Ende für die Performance. Ich finde eine „Notlösung“, falls sich das Ende nicht von alleine ergibt: ich werde eine weiße Stoffserviette dabei haben. An einem geeigneten Ort werde ich das Herz auf der Straße auf die Serviette legen, die Serviette einschlagen, das Päckchen so liegen lassen und gehen. Tatsächlich wird das auch das Ende sein. Und natürlich ist es die Situation, zu der ich danach von Lydia und Meltem das Feedback bekommen werde, dass sie es sich anders gewünscht hätten.


Um viertel nach Drei treffen wir uns in einem Café in der Nähe des Hauses vor dem ich beginnen will. Ich erkläre, an welchen Stellen ich welche Unterstützung brauche; und wie ich mich im Notfall bemerkbar machen würde, wenn ich die Beiden zum Intervenieren in der Performance bräuchte. Zum Glück wird dieser Fall nicht eintreten.

Um 15:45 Uhr stehen wir vor dem Haus, das im offenen Vorgarten einen Busch hat. Dahinter ziehe ich meine Schuhe aus, setze eine andere Brille auf und hole das Herz heraus. Wieder (wie schon beim Metzger) bin ich überrascht wie klein es ist.

Ich gehe los. Die Straße entlang. Schaue das Herz in meinen Händen an und fühle das kühle Fleisch. Die Anspannung, die mich den ganzen Vormittag begleitet hat fällt ab. Es ist zuerst überraschend unspektakulär. Erst als ich an den ersten Cafés vorbeikomme, bemerke, dass ich auffalle und schnappe immer wieder Kommentare auf. Langsam schaffe ich es, die Situation komplett zu meiner Wirklichkeit zu machen. Ich spüre die warmen Pflastersteine unter meinen Fußsohlen, das Herz in meiner Hand, meinen Atem, dem sich die Schritte immer mehr anpassen.

Und dann spielt das „Außen“ keine Rolle mehr. Ich gehe. Mein Blick auf das Herz gerichtet. Ich weiche den Menschen nicht aus, sie weichen mir aus. Ich gehe an Caféterrassen, an Menschengruppen und an Müttern mit ihren Kindern vorbei. Ich nehme war dass sie da sind. Mehr aber auch nicht. Und: Es macht sich Trauer breit. Nicht um etwas Konkretes. Die Grundstimmung dieser Performance verdichtet sich zu Trauer.

Nach einer Weile nehme ich eine dicke, grünschillernde Fliege wahr, die auf dem Herz sitzt. Ein paarmal versuche ich sie mit dem Daumen zu verjagen, dann kommt noch eine. Es werden immer mehr, bis ca. 10 dieser Fliegen auf dem Herz sitzen. Erst ärgere ich mich, dann merke ich, dass auch sie einfach zu diesem Bild gehören und ich sie akzeptieren werde. Ich ekele mich und dieser Ekel vermischt sich mit der Trauer.


Eine gefühlten Ewigkeit später komme ich an die Kreuzung, bei der ich geplant hatte, das letzte Mal abzubiegen und noch zwei Häuserblocks weiterzugehen. Ich bleibe stehen und schaue mich in alle Richtungen um. Es sind inzwischen so viele Fliegen, dass mein einziger Impuls ist: Beenden. Ich entscheide: Weitergehen. Das ist das Bild und die Fliegen gehören dazu. Also biege ich wie geplant in die Straße ein. Die Straße ist noch voller als die davor und sehr eng, weil überall Tische und Stühle stehen.

Nach ein paar Häusern komme ich an einen Teil des Gehsteigs, der breiter ist und an dem keine Tische stehen. Ich sehe eine Laterne und weiß, dass ich das Bild hier beenden werde. Ich bin heilfroh, dass ich mir ein Ende überlegt habe, auch wenn es nicht das Ideale ist. Eigentlich müsste ich jetzt hier stehen und warten was der Moment und die Situation mir bringen. Nur, jetzt wo ich stehe, kreisen alle Fliegen –inzwischen sicher 30 oder mehr- um das Herz und um mich. Also hole ich die Serviette aus der Tasche, breite sie aus, lege das Herz mit bedacht darauf, schaue dieses Bild an. Sehr lange, wie ich finde. Dann falte ich Serviette zusammen, halte meine Hände, hockend, kurz auf das weiße Päckchen. Ich stehe auf und gehe über die Straße weg. Auf der anderen Straßenseite, noch ein Stück den Gehweg runter ist ein Baum. Hier entspanne ich mich und komme langsam ins Hier und Jetzt der „normalen“ Welt zurück.


Wie schon so oft merke ich jetzt erst, wie anstrengend die ganze Sache war. Meltem gießt mir Wasser über die eingeseiften Hände. Lydia kommt hinterher mit der Tüte, in die sie –nach meinem Weitergehen– das Herz gesteckt hat. So war es ausgemacht. Ich sehe das blutige, weiße Tuch. Ich ziehe meine Schuhe wieder an, setze die andere Brille auf, ziehe die Krawatte aus. Aus dem Eingang des nächsten Hauses kommt eine Frau, schaut uns zu und sagt „Wieder als privat verkleiden.“ Ich verstehe nicht, ob sie die Performance gesehen hat, oder wie sie es sonst meint. So oder so hat sie recht.

Die Performance ist zu Ende. Lydia, Meltem und ich gehen noch einen Kaffee trinken. Es ist spannend zu hören, was sie zu erzählen haben. Sie haben alles von außen beobachten können. Das Bild, die Reaktionen, Ihre Eindrücke. Ich bin froh, dass ich das alles höre, denn ich selbst habe fast gar nichts davon mitbekommen.


Und natürlich kommen wir auf den Schluss zu sprechen. Zu schnell, sie hätte sich all das länger gewünscht, meint Meltem. Die weiße Serviette hätte nicht gepasst, sie sein ein Bruch des Bildes gewesen, ich hätte das Herz lieber direkt ablegen sollen, sagt Lydia. Beiden kann ich zustimmen. Und mir wird wieder klar, dass ich mich –trotz der unangenehmen Fliegen und des Ekels und der Erschöpfung– mehr auf den Moment verlassen hätte sollen. Es wäre alles da gewesen.


Ich bin sehr Froh um das Feedback und das Gespräch mit den beiden. Ohne diese Rückmeldungen hätte ich keine Ahnung, wie das Bild von außen gewirkt hat; ich würde nur meine temporäre Wirklichkeit kennen: mit einem Herz in meiner Hand eine halbe Stunde barfuß durch die Straße zu laufen.


Video mit Eindrücken unter www.urban-absurdity.com.

Danke, Lydia für Unterstützung, Filmen, Rückmeldung
Danke, Meltem für die Unterstützung und die Rückmeldung

© alle Bilder & Videosequenzen: Lydia Starkulla, Holzkirchen & Tom Tiller, urban-absurdity.com
© Idee und Konzept: Tom Tiller, urban-absurdity.com


Donnerstag, 13. Juni 2013

Schwarzer Mann - ein persönlicher Bericht


Die Idee ist simpel: Ein komplett in schwarz gekleideter Mann mit schwarzer Stoffmaske über dem Gesicht und schwarzen Handschuhen geht durch die Straße. Vom Menschen darunter ist nichts zu sehen. Es bleibt eine schwarze Figur. Im Schatten ist es nur eine sich bewegende Silhouette eines Anzugträgers mit Hut. Der schwarze Mann, wie wir ihn aus dem Kinderspiel „Wer hat Angst vor dem Schwarzen Mann“ kennen, vor dem wir als Kinder schon im Spiel mit sanfter Panik davongelaufen sind und der von Kindesentführungen über unterschiedliche Gewaltverbrechen bis zum Ausrauben alter Damen für alles herhalten muss, was wir eigentlich nicht mit konkreten Personen in Verbindung bringen wollen.



Donnerstag Nachmittag in der Innenstadt von München. Lydia hat sich dankenswerter Weise bereit erklärt, zu filmen und zu dokumentieren. Wir treffen uns im Bon Valeur auf einen Kaffee. Dann ziehe ich mir direkt ums Eck -schon vor laufender Kamera- die Gesichtsmaske über, den Hut auf und die Handschuhe an. 

In diesem Moment fällt jede Nervosität komplett von mir ab. Es ist anders als bei anderen Aktionen. Ich bin nicht sichtbar. Nach ca. fünf Minuten gehen und mehreren Erinnerungen an mich selbst verstehe ich langsam, dass ich alle anderen hemmungslos anschauen kann, weil mich keiner sieht. Im Laufe der insgesamt 30 Minuten muss ich mich immer wieder daran erinnern. Es ist so in mir drin, dass ich Menschen nicht einfach nur unverhohlen anschaue...



Das erstaunlichste: Kaum jemand nimmt mich war. Es werden mehr, als ich nach einer Aufforderung von Lydia deutlich langsamer gehe. Noch erstaunlicher: Die meisten, die mich sehen schauen sofort auf den Boden und scheinen den Kontakt zu meiden. Auch wenn mein Kopf gar nicht in ihre Richtung gedreht ist. Erst auf dem Filmmaterial sehe ich, dass sich viele noch einmal umdrehen, sobald sie mich von hinten sehen. Angst vor Konfrontation? Ich weiß es nicht. 

Ein einziges Mal geht ein Mann -meine Statur, mein Alter, auch im Anzug- fast direkt auf mich zu und bricht den Blickkontakt erst ab als er sehr knapp an mir vorbei geht. Ich vergesse, dass er meine Augen gar nicht sehen kann; taxiere ihn und halte den Augenkontakt bis zum Schluss. Wohl fühle ich mich dabei nicht. Ohne Maske wäre das ein aggressiver Akt. Erst danach erinnere ich mich wieder: Ich bin nicht sichtbar!



Lustig ist es, den vielen Frauen in Burka zu begegnen, die definitiv länger und direkter schauen, als andere. Kurz habe ich die Sorge, dass sie es als Kritik auffassen könnten, merke aber schnell: das ist „mein Film“.

Ein Kind sieht mich, fängt das Heulen an und versteckt sich hinter seiner Mutter. „Entschuldigung“ möchte ich sagen, tu’s aber nicht, weil ich denke, dass es die Situation nur noch schlimmer machen würde.

Nach ca. 30 Minuten und dem Weg vom Stachus über den Marienplatz zum Odeonsplatz reicht es mir. Ich biege in eine Seitenstraße, suche mir eine Einfahrt und verschwinde darin. Erst als ich die Mütze vom Kopf ziehe merke ich, wie heiß mir ist. 



Danach sitzen Lydia und ich noch im Kaffee und unterhalten uns, wie man die Reaktionen der Leute besser, aber unauffälliger einfangen kann. Langsamer gehen, zwei festinstallierte Kameras, sich nur in deren Sichtfeld bewegen. Definitiv ein Versuch wert. Allerdings merke ich auch, dass mein „Selbstverständnis“ solcher Aktionen stark geprägt ist von Performern wie Marina Abramović und anderen, die sich in erster Linie der Situation stellen; für die das „Festhalten“ oder Mitschneiden bestenfalls zu Doku-Zwecken dient. Auf der anderen Seite interessieren mich die Reaktionen der Menschen und ich freue mich sehr über das Videomaterial; erkenne, dass und wie man es besser machen könnte und verstehe, was Lydia meint. Warum also nicht beide Varianten ausprobieren? So oder so wird es den schwarzen Mann sicher noch öfter geben. 

Und insgesamt war es eine angenehm unspektakuläre Aktion.

Video mit Eindrücken unter www.urban-absurdity.com.

Danke, Lydia, für Unterstützung, Filmen, Rückmeldung und Anregungen.

© alle Bilder & Videosequenzen: Lydia Starkulla, Holzkirchen
© Idee und Konzept: Tom Tiller, urban-absurdity.com